Grün - Gelb - Rot

Ein Thema, das mir sehr wichtig ist, ist das Verhalten an der Leine. Ich weiß, wie schnell eine Leinenaggression entsteht, und ich weiß, wie schwer es ist, sie wieder los zu werden. Das Verhalten an der Leine war für mich eine absolute Erziehungspriorität, und (ich bin sehr sehr froh, das sagen zu können) mit Erfolg.

Das heisst für mich nicht: Der Hund läuft immer super korrekt Fuß neben mir, oder zieht niemals nicht an der Leine. Es heisst: Der Hund respektiert die Leine - was vor allem auch heisst, er respektiert, dass er sich mir anzupassen hat, mein Tempo, meine Richtung läuft, und nicht an mir vorbei drängelt. Und er fühlt sich an der Leine sicher. Er kämpft nicht mit der Leine, er hat keinen Stress an der Leine und er weiß: wenn er an der Leine ist, braucht er sich nicht um die "Aussenwelt" zu kümmern (und im Umkehrschluss: Er darf es auch nicht).

Das haben wir von Tag 1 an geübt. Die Leine war immer nur kurz am Hund, aber für diese kurzen Sequenzen galten die Regeln.

Ich kenne viele Hundehalter, bei denen es an der Leine nicht gut funktioniert. Es wird gezogen, aus Frust, Unsicherheit oder - seltener - Aggression heraus bei jeglicher Hundesichtung in die Leine gestiegen, gebellt, gegiftet, gepöbelt. Ob sie das selbst verbockt haben oder nicht - es ist auf jeden Fall schwierig, das Verhalten zu ändern.



Für mich wäre immer der erste Ansatzpunkt, die Leinenführigkeit zu verbessern: Ziehen, Drängeln, Unaufmerksamkeit erst mal ohne Ablenkung geduldig und konsequent wegarbeiten. Wenn es sich tatsächlich um einen "Ich bin der größte Zampano im Revier" Pöbler handelt, muss man wohl auch daran arbeiten, dass der Hund genug Respekt hat, dass er auf Ansage mal die Klappe hält.
Oh, und vor allem: Keine Kontakte mehr, wenn der Hund an der Leine ist, weder Hund noch Mensch, eine gedachte Käseglocke drüberstülpen, ohne JEDE Ausnahme. Vor allem bei unsicheren Hunden.

Der zweite Punkt ist aber: Wie geht man mit der Situation selbst um? Wie reagieren bei Hundebegegnungen? Viele betroffene Halter versuchen, das Austicken ihres Hundes um jeden Preis zu vermeiden. Sie laufen immer größere Bögen, sie verstecken sich, und wenn es sich nicht vermeiden lässt, versuchen sie, ihren Hund abzulenken, mit guten Worten, mit Futter oder Spielzeug. In all dem steckt ein Körnchen Wahrheit - Distanzvergrößerung ist ein wichtiges Instrument, ebenso wie Lob. Aber: wer einfach nur auf Distanzvergrößerung und gutes Zureden setzt, wird oft feststellen, dass es mit der Zeit schlimmer wird. Und dafür gibt es gute Gründe.


Der Hund kann nur lernen, wenn er mental ansprechbar ist.  Wenn man zu nah an der Ablenkung dran ist, ist er nicht mehr ansprechbar, das ist ja das Problem. Logisch. Also: nicht zu nah dran gehen an den anderen Hund und vor allem: IMMER als Puffer dazwischen bleiben (geht natürlich nur wenn der Hund nicht drängelt - falls er das tut: Gehe zurück über Los, übe die Leinenführigkeit!).
Also Bögen laufen, prima Lösung, nur nie zu nah dran? Nein.
Denn durch Vermeiden kann der Hund auch nichts lernen. Ziel muss ja sein, mit dem Reiz - dem anderen Hund, oder was immer den Hund triggert, klar zu kommen.

Aber wie nah ist richtig?

Man stelle sich drei Zonen vor.

1. Grüne Zone

Der Hund ist entspannt, locker, ansprechbar. Er reagiert auf dich (ohne dass du laut werden musst oder Leckerlie vor die Nase hälst) und orientiert sich an dir. In diesem Zustand kann er lernen (also angenehme/unangenehme Konsequenzen mit Ursachen verknüpfen und sein Verhalten in Zukunft anpassen). Hier wird konsequent die Leinenführigkeit geübt!

2. Gelbe Zone

Der Hund reagiert auf einen Reiz. Spannt sich an, schaut, zuckt zurück, hüpft herum, bellt, was auch immer. Er orientiert sich nach aussen - ist aber noch ansprechbar. Reagiert auf seinen Namen, ist noch in der Lage, Futter anzunehmen oder reagiert ggf. auf Zurechtweisung (wenns ein Zampano ist). Aber es braucht eben deutlich mehr Anstrengung, und die Reaktion ist nicht nachhaltig, der Hund fängt immer wieder an.
In diesem Zustand kann der Hund auch noch lernen, zwar weniger effektiv, aber es kommt noch was an.

3. Rote Zone

Nix geht mehr. Hund ist mental "weg". Bei Unsicherheit oder Angst ist das besonders problematisch, aber der Hund kann auch in die rote Zone kommen, wenn er den Zampano makiert, auf Wild reagiert, im Spiel hochpuscht, vor lauter Freude, aus Müdigkeit.
In der roten Zone ist kein Lernen mehr möglich. Irgendwelche Massnahmen brechen evtl. das Verhalten ab, aber der Hund wird die Erfahrung nicht auf die nächste, ähnliche Situation anwenden. Daher kommt dann das "Ich habe alles probiert, aber nichts hilft!" Gefühl, das viele Hundehalter haben. Solange der Hund nicht lernen kann, kann er sein Verhalten eben nicht dauerhaft verändern, egal, was man macht und tut.

Für das Training heisst das:

Es kommt erst mal drauf an, überhaupt eine Grüne Zone zu haben. Wann und wie oft ist der Hund in der grünen Zone? Viele Hunde ziehen permanent - das heisst, sie haben permanent Stress, das heisst, sie sind schon mal nicht "grün", sobald sie an der Leine sind. Bei anderen ist es Dunkelheit. Oder Wildgeruch.

Wie viel Grüne Zone hat der Hund?

Gute Grunderziehung (Abläufe, die einfach in Fleisch und Blut übergegangen sind) erweitert die grüne Zone enorm. Vertrauen. Alternativverhalten einüben. Routine. Ruhe des Hundführers. Eine gute Leinenführigkeit - wie oben beschrieben, der Leinenradius selbst sollte eine Käseglocke,  eine stets "grüne Zone" für den Hund sein: An der Leine = kein Stress, hier kommt nix und niemand rein, keine Aufregung, nix.

Durch all das wird die grüne Zone größer, der Hund kann sich auch in Gegenwart von Dingen, die ihn vorher abgelenkt haben, souverän bewegen, ohne sich aufzuregen. 

Junge Hunde leben draussen quasi in Dauer-Gelb, müssen Grün erst mal lernen. Daher ist es so wichtig, z.B. intensiv das Anschauen und auf den Namen reagieren in der Wohnung zu üben, damit man damit eine "Grün-Insel" der Ansprechbarkeit hat.

Und drinnen ansonsten Ruhe, damit dort eben Dauer-Grün herrscht, und der Hund runterkommen kann.
Jedes bisschen Impulskontrolle und Frustrationstoleranz ist ein bisschen mehr grün.
Und viele merken auch nicht, dass ruhig sitzen oder liegen mental viel anstrengender für den Hund sein kann, als sich weiter zu bewegen - so kann schon Absitzen lassen bei einem Reiz bedeuten, dass das Hundehirn gelb wird. Man muss gut drauf achten, genau beobachten, wie der Hund am besten klar kommt.

Ganz ohne grüne Zone wird es schwierig, neues zu lernen! Nicht ohne Grund heisst es immer "ohne Ablenkung üben!" d.h. Verhalten in der grünen Zone lernen, festigen und dann erweitern (mehr Ablenkung reinbringen - näher rangehen - sich in die gelbe Zone vorwagen.).

Hier kommt Annäherung und Rückzug ins Spiel: Wenn man sich in die gelbe Zone vorwagt, sollte man immer wieder in die grüne Zone zurück gehen. Aber: man muss sich eben auch immer wieder in die gelbe Zone vorwagen. Gerade soviel, wie es geht, ohne in Rot zu kippen. Wenn man sich vorher ein gutes Grün gebastelt hat (der Hund sehr gut auf seinen Namen hört, die Leinenführigkeit gut ist, die Leine selbst eine grüne Zone ist, der Hund auf Schutz vertraut und die Grenze - ich  darf nicht vorbeidrängen Richtung Reiz - verinnerlicht hat), umso besser kommt man dann in der gelben Zone klar.
Also Distanz verkleinern, bis es gelb wird, und wieder vergrößern, bevor es Rot wird (Annäherung-Rückzug eben, ein ganz wichtiges Grundprinzip).
Aber eben nicht: Distanz immer sofort so weit vergrößern, dass es gar nicht erst gelb wird!

Denn nur, wenn der Hund den Reiz wahrnehmen und verarbeiten kann, ohne nach Rot zu kippen, kann er in der Situation etwas lernen und es wird beim nächsten Mal (oder beim überüberübernächsten Mal) besser. Das heisst noch lange nicht Grün - aber die gelbe Zone wird nach und nach ein bisschen breiter und schiebt damit die rote Zone zurück. Und von gelb geht es immer leichter nach Grün.

Was ist daran jetzt anders, als Gelb von vornherein zu vermeiden und immer auf Grün zu bleiben?

Man kann die Grenze zu Rot nur zurückschieben, wenn man in Gelb arbeitet. Von Grün aus geht das nicht. Die Auseinandersetzung mit dem Reiz muss stattfinden. Wenn das nicht passiert, wird Rot einfach immer größer. Reize werden nicht abgearbeitet, sondern bleiben in der Rot-Zone, und je öfter das passiert, umso mehr Neues wird als Rot einsortiert. Wenn solche Erfahrungen (Rot! Rot! Rot!) häufig gemacht werden, bilden sich im Hirn regelrechte Autobahnen, die dann immer wieder "genutzt" werden. Das Verhalten festigt sich. Der Hund reagiert immer häufiger aufgeregt, seine Fähigkeit, ruhig zu bleiben und sich mit Reizen auseinanderzusetzen, wird immer schlechter.

Gelb ist einfach Abchecken wollen, latente Flucht/Kampfbereitschaft. Die legt der Hund nur ab, wenn er immer wieder die Erfahrung macht, dass er sie gar nicht braucht. Die Erfahrung muss er aber machen dürfen. Glaubhaft! Ein fluchtbereites Frauchen bestätigt die Unsicherheit, genauso wie in die Leine packen, laut werden, selbst den Reiz fixieren, schnelle Atmung.

Dass so viele Hunde an der Leine in Gelb oder Rot fallen, liegt meiner Meinung nach daran, dass sie an der Leine  problematische Erfahrungen gemacht haben - auch, wenn viele Halter der Meinung sind, es hätte nie Probleme gegeben. Hunde an der Leine sind in ihrer Bewegung eingeschränkt, daher zeigen viele sehr bald nur noch Kampfbereitschaft, denn Flucht geht ja nicht. Sie erleben Stress, weil die Leine zu kurz genommen wird oder sie im Dauerzug laufen, weil sie es nicht anders gelernt haben. Gelb Gelb Gelb ROT. Stress Stress Stress AUSTICKEN.

Daher finde ich eine gute Leinenführigkeit und Leine als Ruhezone ohne Kontakt so immens wichtig.

Und, sich immer wieder an den Reiz heranzuwagen, immer wieder an die Grenze zu gehen und diese  dadurch langsam aber sicher zu verschieben.

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