Persönlichkeiten

Wenn ich mir meine beiden, das Pony und den Pudel, so ansehe, denke ich immer wieder: Wie gut, dass die Charaktere nicht anders herum verteilt sind!
Mit einem Hund, der so eigenständig und willensstark ist, hätte ich meine liebe Mühe mit dem Freilauf. Und ein so sensibles Pferd mit so viel Bewegungsdrang würde mich überfordern...
Unterschiedliche Persönlichkeiten sind nicht besser oder schlechter. Sie sind einfach nur unterschiedlich, und man stösst an ganz unterschiedliche Grenzen, unterschiedliche Dinge fallen leicht oder schwer. Daher ist jedes Schema F in der Ausbildung komplett fehl am Platz, finde ich.
Zu oft wird der individuelle Charakter nicht berücksichtigt.
Ich meine nicht unbedingt rassetypische Eigenschaften, obwohl die natürlich ein Teil des Ganzen sind. Aber ich kenne viel Islandpferde, die ganz anders ticken als meine, viele Pudel, die ein anderer Charaktertyp sind als meiner.

Viele kennen die Unterschiedung in A- oder B-Typen, die aus der Humanmedizin stammt und sich zum Beispiel bei Günther Bloch wiederfindet. Der A-Typ, der eher aggressiv, der B-Typ, der eher defensiv ist. A ist eingenständiger, B eher bereit, zu folgen.
Das ist freilich eine sehr grobe Unterscheidung, aber ein erster Anhaltspunkt.

Im Pferdebereich hat Pat Perelli ein schönes Schema entwickelt, das dabei hilft, sich über die Persönlichkeit des Pferdes klar zu werden: das Horsenality-Chart. Im Hundebereich kenne ich nichts vergleichbares, daher leihe ich mir Parellis Schema mal aus....  Es ist im Grunde das Gleiche, ob Hund oder Pferd, oder sogar Mensch.

Das Schöne dabei: Es dient nicht dazu, dem Pferd einen Stempel aufzudrücken und es in eine Schublade zu stecken, aus der es nie mehr herauskommt. Sondern es hilft, die richtigen Trainingsansätze für den jeweiligen Typ und die jeweilige Situation zu finden. Man erkennt besser, warum man an manchen Dingen scheitert, wo die Talente liegen, wo Förderbedarf besteht. Wann das Tier in ein Extrem kippt - und wie man es da wieder raus bekommt.

Im Grunde gibt es vier Quadranten, bestimmt von den Eigenschaften: Introvertiert/Extrovertiert und Left/Right Brain - was im wesentlichen die Unterscheidung zwischen Bewusstem Denken und Instinktsteuerung bezeichnet.

Hat man einen introvertierten Typ vor sich ("stur", "faul", "zäh"), gilt es, Interesse und Motivation zu wecken. Hat man einen extrovertierten Typ ("überdreht", "hektisch", "nervös"), hilft man, Ruhe, Entspannung und Konzentration zu finden. Aber: Anders als die Adjektive in Anführungszeichen ist Intro oder Extro nicht wertend! Beide Typen brauchen nur unterschiedlichen Umgang, und eben Verständnis dafür, dass sie völlig unterschiedlich auf Druck oder Stress reagieren. Ein introvertierter Typ wird auf Stress mit Verharren, sich abwenden, Ignoranz reagieren - ein Extrovert wird hektisch, will weglaufen, oder wird evtl auch aggressiv, wie man bei Hunden sagt: "geht nach vorne".
In der jeweiligen Situation noch Druck obendrauf zu setzen, wird es schlimmer machen, nicht besser.

In der Praxis heisst das: Während ich mein tendenziell introvertiertes Pony begeistert anfeuere, wenn sie mal richtig aus sich heraus kommt, muss ich den Hund nicht auch noch anstacheln, wenn er die Rennsemmel auspackt, und bestärke mehr die ruhigen, kontrollierten Verhaltensweisen. Während beim Extro Ruhe i.d.R. auch Entspannung bedeutet, kann der Intro äusserlich ganz ruhig wirken und dabei richtig unter Stress stehen. Wird das nicht erkannt, kann daraus eine "aus heiterem Himmel explodiert" Situation entstehen.
Der Extro ist bewegungsfreudig - baut aber auch mit Bewegung seinen Stress ab. Ein sehr hohes Aktivitätslevel kann also auch ein hohes Stresslevel anzeigen.
Um also einschätzen zu können, wie sich das Tier gerade fühlt, muss man seinen grundsätzlichen Typ kennen. Der ist nie nur das Eine oder nur das Andere - es gibt Tendezen, aber natürlich trägt der überwiegend Intro-Typ auch extrovertierte Züge und umgekehrt.

Die zweite Koordinate, das "left/right Brain" würde ich mit Ansprechbarkeit übersetzen. Left Brain (als Metapher, das hat natürlich keine neurologische Entsprechung) bedeutet Denkfähigkeit, überlegtes Handeln, Right Brain bedeutet instinktgesteuertes, reaktives Verhalten ("Trieb").

Das hat nichts mit Intelligenz zu tun - aber durchaus mit dem Zugang zur Intelligenz und Lernfähigkeit des Tieres. Um neue, abstrakte Verhaltensweisen, die nicht im Instinktrepertoire angelegt sind, zu erlernen, muss man sich im Bereich des bewussten Denkens bewegen. Das fällt manchen leichter, manchen schwerer - je mehr "left Brain" der Charakter mitbringt, um so leichter kann er Instinktverhalten bewusst steuern. Ein "left Brain" kann einen starken Jagdtrieb haben, aber diesen Trieb leichter zu kontrollieren lernen, als ein "right Brain" mit einem schwächeren Jagdtrieb, aber weniger bewusster Kontrolle.
Wenn man also Impulskontrolle übt, tut man im Grunde nichts anderes, als die "right Brain" Seite des Charakters zu stärken. Und es ist eben immens wichtig, zu verstehen, ob man es mit einer "Ich kann nicht anders" - "right Brain" - Situation zu tun hat oder einer bewussten Entscheidung eines "left Brain".
Man sollte nun meinem, dass man es mit einem "left Brain" Charakter viel leichter hat - und das stimmt insofern, als dass man es weniger mit Schreckhaftigkeit, Kopflosigkeit, unkontrolliertem Verhalten zu tun hat. Aber: je mehr "left Brain", desto mehr Eigenständigkeit und desto weniger Bereitschaft, sich führen zu lassen. Denn wer selbst denken kann, der braucht niemanden, der einem sagt, was er zu tun hat. (Daher die vielen Diskussionen, die ich mit meinem typischen "left Brain intro" Pony führen darf.) Left Brain braucht immer einen Grund, eine Motivation, einen Sinn und langweilt sich schnell. Right Brain - solange es nicht in die rote Zone kippt, was dem right Brain schneller passiert als dem left Brain - möchte gerne folgen und geführt werden und spart sich gerne die Mühe, selbst zu denken. Wo man seinem left Brain gegenüber also durchsetzen muss, dass er/sie ruhig auch mal einfach tun kann, was Frauchen sagt, muss man sehr aufpassen, dass der right Brain Gelerntes auch wirlich verarbeitet und nicht einfach nur ausgetretenen Pfaden folgt.

Jeder Charakter setzt sich aus Elementen der vier Quadranten zusammen, und in jeder Situation kann sich die Gewichtung verschieben. Darauf muss man das Training abstimmen: Kippt der Hund oder das Pferd gerade ins "right Brain" und verliert die Nerven? Dann muss ich erst mal wieder eine sichere Zone erreichen, um überhaupt Lernen zu ermöglichen. Sieht der "left Brain" - Typ gerade keinen Sinn in der Übung und verliert die Lust? Tickt der Extrovert gerade über? Zieht sich der introvertierte Charakter gerade in sich zurück und macht dicht?

Ich finde es ausgesprochen spannend, mit diese Fragen immer wieder zu stellen.
Natürlich nicht als irgendwie wissenschaftlich fundierte oder exakte Methode, das ist es nicht! Es ist einfach eine Schablone, die dabei hilft, an wenig hilfreichen Adjektiven wie stur, bockig, überdreht, dumm usw vorbei zu schauen, und zu beurteilen, ob der gewählte Trainingsweg tatsächlich der richtige ist.
Statt den Intro immer weiter ins Verharren zu "prügeln", den Extro immer weiter aufzustacheln, right Brain durch ständiges Mikro-Management brav aber unselbstständig zu halten oder left Brain durch dauernde Wiederholungen zu langweilen, findet man durch einen neuen Blickwinkel auch neue, bessere Wege. Nicht nur zu einem "funktionierenden" Hund, sondern voa allem zu einem ausgeglichenen, zufriedenen Hund, der sein Potential ausschöpfen kann. Denn das sollte das Ziel sein!

1 Kommentar:

  1. Das ist ja spannend! Von einer Personality Chart für Tiere hatte ich bis jetzt noch nie gehört. Ich könnte mir vorstellen, dass die Tabelle uns dabei hilft, unsere Vierbeiner in verschiedenen Situationen mal genauer zu beobachten. Werde das auf jeden Fall ausprobieren! LG, Andy

    AntwortenLöschen

Danke! Ich werde den Kommentar so bald wie möglich lesen und freischalten.