Die Ein-Klick-Kastration

Da Karin bei den Glückspudeln gerade wieder was zum Thema Kastration geschrieben hat, ist mir das Thema nun auch wieder eingefallen. Zeit, einen alten, angefangenen Artikel endlich mal zu Ende zu schreiben!

Viele Leute wissen ja ganz genau, wo sie stehen zum Thema Kastration, und der eigene Standpunkt wird recht hitzig vertreten (gerade in Internet-Foren) : Wie kannst du nur! Oder nicht! Hmmm... ich fand die Sache nicht so eindeutig.

Es ist sicher anders, wenn man ländlich wohnt und wenigen (und mehr oder weniger immer den gleichen) Hunden begegnet. Ich aber wohne im absoluten Hunde-Ballungsraum. Nicht nur Begegnungen sind extrem häufig - einen Tag ohne Begegnungen gibt es nicht, niemals, ausgeschlossen - sondern auch die Gerüche anderer Hunde sind wirklich überall. Auch, wenn man zum Gassi rausfährt. Ein unkastrierter Rüde wird einer Vielzahl von intakten Hündinnen und deren Signalen konfrontiert, und mit ebenso vielen anderen Rüden, und auch kastrierte Hunde üben auf unkastrierte Hunde mitunter einen gewissen Reiz aus, vor allem auf junge, unerfahrene. Also quasi Dauerbeschuss. Um anderen Hunden wirklich auszuweichen, damit mein Hund mal Pause hat, müsste ich schon ziemlich weit fahren... täglich, gar mehrmals täglich? Geht nicht.

Als Blacky 2 Jahre alt war, vergangenen Sommer, merkte ich deutlich, wie anstrengend das für den jungen Hund (und für mich) war. Blacky zeigte sich weder "hypersexuell" (ein Wort, das gern von Kastrationsbefürwortern gebraucht wird, ob es das gibt und was dahinter steckt, sei hier mal dahingestellt) noch jemals aggressiv - aber er war doch extrem abgelenkt, weniger ansprechbar.
Nicht in einem Ausmaß, das wirklich problematisch war, den Hund öfter angeleint lassen zu müssen ist ja nun noch kein Riesenproblem. Klar wünschte ich mir, Hündinnenbesitzer würden ihre läufigen Damen an der Leine lassen, mich vorwarnen und vielleicht nicht gerade beliebte Freilaufflächen aufsuchen, aber es liess sich managen. Ich fragte mich nur, wieviel Stress das für den Hund eigentlich bedeutet.

Es ist ja nun absolut nix "natürliches" für einen Hund, dauernd mit wechselnden, fremden läufigen Hündinnen konfrontiert zu werden.  Ich behaupte jetzt mal ganz laienhaft, dass die Vorfahren des Hundes doch eher an eine territoriale Lebensweise angepasst waren und nicht dauernden Kontakt mit anderen Caniden hatten, die nicht zum bekannten Sozialverband gehörten. Welcher Wolf muss fast das ganze Jahr über mit dem Geruch paarungsbereiter Damen klarkommen?  Ich fragte mich, ob ich meinem Hund einen Gefallen tue, ihn ständig einem Hormonsturm auszusetzen.

Dazu die Tatsache, dass der heranwachsende Hund von anderen Rüden plötzlich öfter mal deutlich untergebuttert wurde. Gefährde ich meinen Hund vielleicht? Wird er verunsichert oder sogar angstaggressiv, wenn andere ihn so angehen? Kann ich ihn davor schützen?

Aber keinesfalls wollte ich übereilt eine Entscheidung treffen, die ich nicht mehr rückgängig machen kann. Und vom Kastrationsschip war und bin ich aus anderen Gründen nicht begeistert.
Also tat ich, was ich immer tue, und habe soviele Erfahrungen und Informationen gesammelt, wie ich eben kann. Berufsbedingt fällt es mir leicht, Leute auszufragen - und so musste jeder Hundebesitzer, mit dem ich ins Gespräch kam, mir seine Geschichte erzählen. Warum ist der Hund kastriert oder nicht? Wie hat sich der Hund entwickelt - mit oder ohne Kastration?

Ein eindeutiges Bild ergab sich nicht, die Zeit verging, Blacky war mal mehr mal weniger zurechnungsfähig, nie wurde der Leidensdruck so hoch, dass ich mich zum Handeln genötigt sah, noch war ich mir meiner Sache sicher. Schließlich wurde ich auf das Buch Kastration und Verhalten beim Hund aufmerksam. Sofort per Ein-Klick-Bestellung geordert.

Und dann passierte etwas bemerkenswertes - beim nächsten Gassi nach diesem Mausklick war mein Hund zum ersten Mal wieder "normal" (so normal wie ein zweijähriger, lebhafter, verrückter Pudel halt ist :-). Gelesen habe ich das Buch trotzdem, und einiges daraus gelernt - aber vor allem war es einfach die Zeit, die ich mir zum Nachdenken genommen habe, die Blackys Eier gerettet hat.

Der nächste - dieser - Sommer war um ein Vielfaches entspannter, die Momente des totalen Verlustes jeglichen Verstandes wegen einer tollen Duftmarke selten und kurz. Blacky ist erwachsen geworden. Sein ganzes Verhalten ist anders. Er ist weniger an anderen Hunden und kaum noch an Spiel interessiert. Gerade das ist für manche Kastrationsbefürworter ein Nachteil - ein Argument für die Frühkastration ist ja, dass die Hunde dann verspielt und niedlich bleiben - aber ich finde es schön, dass mein Hund zu einer gefestigten erwachsenen Persönlichkeit wird.
Er ist souveräner geworden, nähert sich anderen Rüden respektvoll oder gar nicht, geht Konflikten aus dem Weg, ohne verunsichert zu sein.

Ich will gar nicht behaupten, dass es nicht auch Rüden gibt, für die der Stress zu groß wird. Hätte ich Blacky monatelang überhaupt nicht mehr ableinen können, hätte er das Fressen verweigert, stundenlang gejault oder wäre stiften gegangen, vielleicht wäre meine Entscheidung anders ausgefallen.

Aber: Auf keinen Fall sollte man die Entscheidung zur Kastration allzu vorschnell treffen. Den Sturm der Pubertät erstmal durchstehen, bevor man die Weichen für den Rest des Lebens stellt.

Der junge Kerl, der mit dem Hosenboden in den Kniekehlen biertrinkend mit seinen Kumpels an der Strassenecke steht und Mädels dumm anmacht, benimmt sich ja auch nicht den Rest seines Lebens so... 

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