Let's talk about Sex, Baby

Ich guck manchmal den Rütter. Ist meist unterhaltsam, manchmal lehrreich, und immer so ein wohliger Voyeurismus dabei...

Die letzte Folge handelte von einem einjährigen Auslandstierschutz-Mischlingsrüden, der extrem Ressourcen verteidigte, seine Menschen biss und alles und jeden anrammelte. Herr Rütter stellte fest: extrem cleverer Hund, völlig unerzogen und mit Null Frustrationstoleranz. So weit, so richtig, meiner Meinung nach. Ein Hund, der Regeln braucht und sinnvoll beschäftigt werden muss. Stimme auch voll zu. Aber dann: Der Hund ist völlig "oversexed" und sollte kastriert werden. Denn seine Reaktionen sind voll und ganz sexuell orientiert - womit das Gerammel gemeint war.

Da ist mir dann ja doch kurz alles aus dem Gesicht gefallen. Sagt der das, weil die Zuschauer das witzig finden? Oder glaubt er das wirklich?

"Shrek", so hiess der Hund, übrigens ein mega-cooler kleiner Kerl, den ich sofort eingepackt hätte, zeigte ein eindeutiges Übersprungverhalten. Wie aus dem Lehrbuch. Junger Hund, suboptimale Aufzucht und ungewisse Vorgeschichte, unsichere und ahnungslose Besitzer, keinerlei Alltagsregeln, keine soziale Führung, Langeweile. Was soll denn da anderes rauskommen als ein völlig gestresster Hund, der sich ein Ventil sucht? Und wie kann man glauben, dass eine Kastration daran etwas ändern würde? Als ob Kastraten (genau wie Hündinnen) nicht rammeln würden. Im Gegenteil, kastrierte Rüden können sogar deutlich anfälliger für Stress werden (erklärt wird das in diesem Buch).

Zum Glück hat Shrek eine starke Persönlichkeit und viel Selbstbewusstsein und hat dadurch sein erstes Lebensjahr trotz aller Widrigkeiten recht unbeschadet überstanden. Die Besitzer folgtem nach dem ersten Rütter-Besuch einem soliden, klassischen Trainingsprogramm, damit der Hund erst mal ein paar Alltagsregeln akzeptiert, die Interaktion mit dem Menschen als etwas Positives und Erstrebenswertes kennenlernt und ein bisschen Respekt und Frustrationstoleranz erwirbt. Beim zweiten Besuch keine Spur von Rammeln mehr. War Shrek doch nicht so "hypersexuell?"

Da auch beim zweiten Hund in der Sendung - einem unerzogenen, leinenrüpeligen Neufundländer - gleich wieder von "absolut sexuell motivertem Verhalten" die Rede war (und auch hier wieder: fand ich nicht), befürchte ich fast, dass "oversexed" das neue "unausgelastet" wird.
Statt jedem Hund die Reizangel und den Futterbeutel zu empfehlen, wird nun jeder Kandidat erst mal kastriert? Ich hoffe, nicht. Zumindest nicht, wenn es sich einfach nur um normale Junghunde handelt, die erst mal erwachsen werden müssen und halt Erziehung brauchen.

Martin Rütter ist ja nun mal (leider?) in Hundeerziehungsfragen ein Trendsetter, seine Methoden finden immer sehr schnell Eingang ins Hundewiesen-Mainstream-"Wissen". Mal sehen, was nun alles plötzlich als "sexuell motiviert" erklärt wird... 

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