Tür auf - Tür zu

Es ist immer soviel die Rede von "positiver Hundeerziehung". Strafe ist böse, schlecht und schlimm. So weit, so gut, ich halte es für durchaus richtig, umzudenken und von alten Methoden mit zusammengerollten Zeitungen, in Pfützen gedrückte Nasen, Leinenrucken und Gebrüll wegzukommen.

Allerdings stört mich, dass die Diskussion fast nur auf moralischer Ebene geführt wird. Man möchte "positiv" arbeiten, weil man ein Gutmensch sein möchte - auch hier: so weit, so gut.  Es ist gut, ein guter Mensch zu sein!

Es gibt aber noch mehr Gründe, "positiv" zu erziehen. Und auch diese sollte man kennen. Auch, um etwas genauer hinzuschauen, um zu erkennen, ob man tatsächlich so "positiv" agiert, wie man selbst glaubt; um Möglichkeiten und Grenzen besser ausloten zu können; und vor allem um zu verstehen, warum es mal besser und mal schlechter klappt.

Warum ich positiv in Anführungszeichen setze? Weil es hier schon mit dem Verständnis hapert - "positiv" bedeutet eine Menge, aber nicht nur "gut". Der Begriff "positive Strafe" verwirrt viele, und dass es auch negative Verstärker gibt, weiß nicht jeder. Das macht ja auch nichts - ich mag es nur nicht, wenn feststehende, klar definierte Begriffe falsch verwendet werden. "Positiv" bedeutet im Kontext der Verhaltensbiologie eben nicht "gut", sondern "etwas hinzufügen" - und das kann auch etwas unangenehmes sein.

Was gemeint ist mit "Positiver Hundeerziehung" ist eigentlich belohungsorientierte Erziehung.

Eine Belohnung ist alles, was den Lernenden dazu bewegt, das damit verknüpfte Verhalten öfter und ausgeprägter zu zeigen. Eine Strafe ist alles, was dazu führt, dass das Verhalten seltener und/oder schwächer gezeigt wird. Ob die Strafen oder Verstärker nun positiv oder negativ (durch Hinzufügen oder Wegnehmen) sind, ist dabei vollkommen irrelevant.

So, und jetzt zu den Türen.

Man stelle sich vor, Lernen bedeutet, einen langen Korridor zu betreten, von dem viele Türen abgehen. Ich möchte nun meinen Hund dazu bekommen, durch eine bestimmte Tür zu gehen. Und NICHT durch eine andere.

Ist es nicht das einfachste, alle anderen Türen zu zu machen? Sehr sinnvoller Gedanke, oder? Und genau der Gedanke, der dazu führt, dass Hundeerziehung (und nicht nur die) immer noch sehr häufig über Strafe versucht wird.

Denn eine Strafe heisst: Diese Tür bleibt zu! Wer sie öffnet, bekommt unangenehme Folgen zu spüren. Und zwar so unangenehm, dass er es nicht wieder versucht, selbst wenn hinter der Tür verlockende Dinge warten. Es scheint intuitiv der richtige Weg, alles zu verbieten, was ich nicht will, und dann bleibt übrig, was ich will. Oder?

Wenn ich nun aber meinem Hund alle Türen vor der Nase zuknalle, erreiche ich noch lange nicht, dass er durch genau die eine, die ich möchte, hindurchgeht. Vor allem dann, wenn die Tür, durch die er gehen soll, für den Hund keine attraktive Tür ist.
Wahrscheinlicher ist es, dass er eines von zwei Dingen tut.

Erstens, er kommt zu dem Schluß, dass es besser ist, Türen generell zu vermeiden. Bloss nichts ausprobieren. Wer zu viel straft, riskiert, dass der Hund ein generelles Meideverhalten entwickelt. Er verliert die Freude am ausprobieren, er stellt sein exploratives Verhalten ein. Im schlimmsten Fall macht er gar nichts mehr. So bleiben Freude und Motivation auf der Strecke. Und ohne Motivation macht der Hund evtl. nichts falsch - aber er kann auch nichts wirklich richtig machen, nichts Neues lernen.

Oder zweitens, wenn es ein robusteres Exemplar ist: Der Hund stumpft ab und lernt, das Zuknallen der Türen zu ignorieren. Er probiert es eben wieder, und wieder, hält dagegen, wartet auf die richtige Gelegenheit. Das heisst, er zeigt das unerwünschte Verhalten eben genau dann, wenn man mal nicht aufpasst.
Ich bin also im Grunde ständig mit dem Zuknallen und Blockieren von Türen beschäftigt - muss den Hund ständig kontrollieren, jeden Versuch unterbinden. So konsequent muss man erst mal sein (wollen).

Es hat seinen Grund, dass Lebewesen so sind. Wenn sich ein Lebewesen auf Nahrungssuche befindet, würde es schnell verhungern, wenn es sich durch Unannehmlichkeiten sofort davon abbringen lassen würde. Dornen mögen pieksen, aber dann komme ich eben mit Handschuhen wieder. Oder bekomme Hornhaut. Oder pfeife auf Kratzer. Wer ausschließlich mit Strafen arbeitet, lässt sich auf ein Wettrüsten ein. Strafe ist tatsächlich nur dann effektiv, wenn sie absolut nachhaltig wirkt: Der heisse Herdplatten Effekt. Aber umgeben von so drastischen Strafreizen ist man schnell wieder beim generellen Meiden, und damit bei einem Hund, der komplett zu macht. Oder so gestresst ist, dass er aggressiv wird, oder krank.

Und jetzt die andere, belohnungsorientierte Sichtweise. Der lange Korridor, Türen in alle Richtungen. Wenn ich will, dass der Hund durch eine bestimmte Tür geht, dann mache ich die ganz ganz weit auf und stelle einen Topf mit Leberwurst (im übertragenen Sinne, eine Belohnung muss keineswegs Futter sein, das ist nur das Einfachste) dahinter. Durch diese Tür wird der Hund gerne wieder und wieder gehen - und der Pfad zu dieser Tür wird mit der Zeit so ausgetreten, dass er wie der einzige Weg erscheint (dieses Bild hat sogar eine Entsprechung in der realen Welt - die neuronalen Pfade, die unser Hirn oft beschreitet, werden zu breiten Autobahnen). Das richtige Verhalten wird zur Gewohnheit.

Und der Hund wird bereitwillig neue Türen ausprobieren wollen, es könnte ja was Tolles dahinter stecken. Er wird Lernen wollen, er wird neugierig sein und auf unseren Vorschlag hin Verhaltensweisen ausprobieren, die ihm von sich aus gar nicht in den Sinn gekommen wären, er wird neue Wege gehen, neue Türen entdecken - Lernen wird selbstbelohnend. Man muss nämlich gar nicht hinter jede neue Wunsch-Tür wieder einen Topf mit Leberwurst stellen, und man muss sich nicht dauernd steigern - man kann die Intensität der Belohnung mit der Zeit sogar herunterfahren. Ganz im Gegensatz zu Strafe: Die muss gesteigert werden, um gegen die Abstumpfung wirksam zu bleiben. Belohnung dagegen bleibt wirksam, wenn sie reduziert wird - ja sie wird sogar noch wirksamer, wenn sie unberechenbar ist (intermittierende Bestärkung).

Auch das hat die Natur clever eingerichtet: Wenn einmal Brombeeren am Strauch waren, dann komme ich wieder, und wieder, und wieder - und freue mich dann um so mehr, wenn ich mal wieder welche finde. Belohnung ermuntert zum Weitermachen, Durchhalten, Über-sich-Hinaus-Wachsen - darin liegt die Motivation. Nicht in der Verfressenheit des Hundes.

Trotzdem sind da noch die anderen Türen - und hinter einigen warten andere Belohnungen, z.B. springende Hasen oder läufige Hündinnen. Verstärker, gegen die kein Leberwursttopf anstinken kann. Die Vorstellung, man müsse einfach die bessere Belohnung haben, ist völlig falsch (und führt oft dazu, dass man glaubt, "nur positiv" funktioniere nicht). Gegen wirklich starke konkurrierende Belohnungen komme ich als Trainer nur an, wenn ich den gewünschten Pfad durch meinen sinnbildlichen Korridor schon richtig breit getreten habe. In der Konkurrenz zum Hasen zählt nicht, wieviel Leberwurst ich gerade jetzt in der Hand habe - sondern wie oft ich das erwünschte Verhalten vorher bestärkt habe.

Das Bild von den Türen macht auch deutlich, wo die Grenzen von "nur positiv" liegen. Ich persönlich denke schon, dass es auch Türen gibt, die man besser nachdrücklich zuknallt. Ob das dann gelingt, ob es ausreicht, ob es sinnvoll ist und wie man das macht - das ist eine Frage, die man sich immer wieder stellen sollte, wenn man denn zu Strafe greift.

Es sollte also keine moralische Frage sein, ob man versucht, so belohnungsorientiert wie möglich zu erziehen. Es ist die Frage, ob ich die natürlichen Mechanismen des Lernens sinnvoll für mich nutzen möchte - oder ob ich mühsam dagegen arbeite.


1 Kommentar:

  1. Hallo toller Blog! Auch ich habe einen Hund! Auch wenn ich gefahr laufe mich unbeliebt zu machen, aber mein hund lasse ich Hund sein! Es gibt so gut wie keine Strafen mehr, und seit dem es fast keine Strafen mehr gibt, ist mein Hund um vieles entspannter, braver und rücksvoller geworden. fürkleineHunde

    Lg



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